Eigentlich ein alltäglicher Fall – und wieder ein Beispiel dafür, wie schnell ein Bürger in die Mühlen der Justiz gerät:
Der Mandant hat an einer Kreuzung vor roter Ampel mit seinem PKW hinter einem anderen PKW gehalten. Als die Ampel auf grün schaltete, fuhr der PKW vor ihm langsam geradeaus an. Der Mandant folgte und bog nach rechts ab. Dann hielt er erneut, um querende Fußgänger passieren zu lassen. Er vergewisserte sich, dass die Fußgängerampel rot zeigte und der Fußgängerüberweg frei war und fuhr an. In diesem Moment knallte ihm ein Radfahrer von links kommend mit erheblicher Geschwindigkeit seitlich ins Auto (Schaden am PKW 3.318,55 €). Wie sich hinterher herausstellte, waren die Bremsen an dem Fahrrad defekt.
Der Radfahrer hatte eine Beckenfraktur erlitten. Es ging entscheidend um die Frage, ob er bei „rot“ über den Fußgängerüberweg gefahren war. Es standen zwei Zeuginnen zur Verfügung, die eine hatte die Ampelschaltung überhaupt nicht beobachtet, die andere war sich nicht sicher.
Da der Radfahrer Strafantrag gestellt hatte, wurde gegen den Mandanten wegen des Verdachts fahrlässiger Körperverletzung ermittelt. Die Verteidigung regte an, zur Klärung der Sach- und Rechtslage ein Ampeldiagramm einzuholen. Dies hielt die Staatsanwaltschaft offensichtlich nicht für erforderlich. Dass die Beweislage äußerst dünn war, focht sie überhaupt nicht an, ohne weitere Ermittlungen bot sie dem Mandanten unverfroren die Einstellung des Verfahrens gegen einen Geldauflage von 300.- € an. Die Verteidigung lehnte ab, nunmehr beantragte die StA einen Strafbefehl über 600.- €.
Nach (selbstverständlich) eingelegtem Einspruch fand heute die Hauptverhandlung statt. Ergebnis: Freispruch. Der Geschädigte war als Zeuge nicht erschienen, ebenso eine weitere Zeugin. Eine andere Zeugin bekundete das, was ohnehin schon bekannt war, nämlich dass sie erst durch den Knall auf die Kollision aufmerksam geworden war und zur Ampelschaltung nichts sagen konnte. Der hinzugezogene Sachverständige hatte jedenfalls die Hausaufgaben der Staatsanwaltschaft gemacht und das Ampeldiagramm eingesehen. Er gab an, die Angaben des Mandanten seien durchaus plausibel. Angesichts der Schaltzeiten und der sich hieraus ergebenden Weg-Zeit-Berechnungen spräche sehr viel dafür, dass die Fußgängerampel in dem Moment „rot“ gezeigt habe, als der Mandant anfuhr und der Geschädigte den Fußgängerüberweg in schneller Fahrt erst bei „rot“ überquert habe.
Angesichts dieser Ausführungen hielt das Gericht weitere Zeugenvernehmungen nicht mehr für erforderlich und sprach den Mandanten auf übereinstimmenden (!) Antrag der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung frei.
So weit, so gut – nur: Dieses Ergebnis war durchaus vorhersehbar. Bei sachgerechter Handhabung des Falles durch die StA wäre das Verfahren bereits im Vorverfahren einzustellen gewesen. Jetzt sind zu Lasten der chronisch klammen Staatskasse Anwaltshonorar, Sachverständigenkosten und Zeugenentschädigungen von insgesamt 2.031.- Teuro angefallen, die Gerichtskosten nicht gerechnet.
Hier wurde einmal wieder nach dem Motto „Kopf runter und durch“ einfach versucht, eine fragwürdige Sache mit einem Einstellungsangebot gegen eine Geldbuße zu erledigen – was ohnehin schon frivol erscheint, wenn die Verteidigung bereits im Ermittlungsverfahren auf die äußerst dünne Beweislage hinweist und weitere Beweiserhebungen anregt. Bei dieser Sachlage ist es ebenso unsinnig, sodann einen Strafbefehl zu beantragen, da ein Einspruch der Verteidigung nahezu sicher ist. Zudem ist die StA bekanntlich verpflichtet, auch zu Gunsten des Beschuldigten zu ermitteln. Weshalb sie es dennoch nicht für erforderlich erachtete, ein Ampeldiagramm einzuholen, bleibt unklar.
Bemerkenswert ist auch die ständige Unsitte der Staatsanwaltschaft, eine verweigerte Zustimmung zu einer Verfahrenseinstellung grundsätzlich zum Anlass zu nehmen, eine deutlich höhere Geldstrafe zu fordern. Zur Erinnerung: Die Geldbuße anlässlich einer Verfahrenseinstellung soll das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beseitigen. Weshalb im Falle einer Nichtzustimmung die dann beantragte Geldstrafe doppelt so hoch ausfallen soll, ist schwer verständlich, ist doch die – von der StA ausdrücklich als „nicht als schwer zu bewertend“ bezeichnete Schuld des Angeklagten für die Höhe der Strafe entscheidend.
Es sei denn, man wollte es als schulderhöhend qualifizieren, die zuvor von der Staatsanwaltschaft angebotene „Wohltat“ einer Verfahrenseinstellung gegen Geldauflage nicht akzeptiert zu haben, aber das kann die StA doch wohl nicht meinen, oder ???
Nachtrag: In diesem Fall ist noch mehr Geld „verbrannt“ worden, s. hier