Beobachtet von zwei Zeuginnen, hat der Mandant beim Ausparken einen anderen PKW leicht gestreift und sich ca. 15 Minuten später vom Unfallort entfernt. Und so geht die Maschinerie los:
Die Polizei wird informiert und sucht den Mandanten auf. Dieser gibt an, zur fraglichen Zeit am fraglichen Ort gewesen zu sein, von einer Kollision aber nichts bemerkt zu haben – durchaus plausibel angesichts der Anstoßkonstellation und des Schadensbildes. Geradezu der Klassiker: Leicht streifende Berührung, häufig nicht sicher wahrnehmbar.
Das ficht die Staatsanwaltschaft natürlich überhaupt nicht an: Per Standard-Textbaustein wird dem Mandanten unterstellt, die Kollision wahrgenommen zu haben, Strafbefehl und vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis beantragt.
Der Amtsrichter ist ebenso unkritisch, und publiziert weiteren Unsinn per Textbaustein – und weg ist die Fahrerlaubnis. Sich der Beschwerde der Verteidigung zu beschäftigen hat der Herr Amtsrichter offensichtlich nicht nötig. Er legt die Sache dem Landgericht vor. Die Große Strafkammer macht sich offensichtlich mehr Mühe und deckt die Schwächen der Anklage mit Beschluss 32 Qs 56/15 vom 21.10.2015 gnadenlos auf – insbesondere auch die hartnäckige Verkennung ständiger Rechtsprechung zum Begriff des bedeutenden Schadens durch den Amtsrichter.
Besonders peinlich: Die StA versucht, das in ihrer Stellungnahme zu der Beschwerde auch noch zu rechtfertigen und meint, der Schaden von (angeblich) 1.098,95 € (brutto) läge nur knapp unter der (angeblichen) Wertgrenze von 1.100.- €. Dass bei fiktiver Abrechnung von dem Nettoschaden (hier also 923,49 €) auszugehen ist und die (angebliche) Wertgrenze von 1.100.- € nur auf eine immerhin 10 Jahre alte Entscheidung des LG Berlin gestützt wird, sei nur am Rande erwähnt.
Immerhin korrigiert die Staatsanwaltschaft ihren ursprünglichen Strafbefehlsantrag (wohl aufgrund der Ausführungen der Strafkammer): Anstatt einer Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von noch acht Monaten möchte man mit neuem Textbaustein (bei unveränderter Geldstrafe von 30 Tagessätzen) „nur“ noch ein Fahrverbot on drei Monaten.
Dass bei engagierter Verteidigertätigkeit im Vorverfahren unter Hinweis auf die Schwachpunkte der Anklage und den mehr als fraglichen Vorsatz die Wahrscheinlichkeit eines Einspruchs gegen einen solchen Strafbefehl bei ca. 100 % liegt, sei nur nebenbei bemerkt.
Allerdings ist das Gericht nicht einmal in der Lage, diesen ordentlich zuzustellen. Da ich (natürlich) keine schriftliche Vollmacht zu Akte gereicht habe, ist der Strafbefehl dem Mandanten zuzustellen und mir formlos bekanntzugeben – und nicht umgekehrt, vgl. § 145 a StPO.
Daher lege ich nur vorsorglich Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Ein Antrag, das Verfahren ausschließlich im Erledigungsinteresse gemäß § 153 StPO einzustellen (was auch reichlich Geld sparen würde), wird (natürlich) ignoriert. Es kommt also zur Hauptverhandlung. Ein dort gestellter Beweisantrag wird entgegen § 73 Abs. II StPO in gerichtstypischer Weise beschieden.
Dass der Herr Vorsitzende hierbei gewisse Hoffnungen hegte, ist natürlich eine Unterstellung. Jedenfalls haben diese sich nicht erfüllt. In einer weiteren Hauptverhandlung erfolgte heute also der unvermeidbare Freispruch Es war „nicht auszuschließen“, dass der Angeklagte die Kollision nicht bemerkt hatte, wie der Herr Vorsitzende es formulierte. Dass dieses tatsächlich schlicht nicht zu beweisen war – was für jeden Kenner der Materie von Anfang an offenkundig war und von der Verteidigung sei fast zwei Jahren immer wieder betont wurde, wollte er wohl nicht einräumen.
Eine solche Textbausteinjustiz ohne jedes Augenmaß braucht KEINER. 😦